Braunschweig. Neu in einem Land, in dem man kaum die Sprache beherrscht – da würden die meisten vielleicht vor einem beruflichen Neustart zurückschrecken. Insbesondere natürlich im Hinblick auf die sowieso schon immensen Herausforderungen. Nicht so aber Hadja Bintou Konaté. Sie ist voller Tatendrang und schafft es trotz vieler Widrigkeiten und dank des AWO-Start Guides Gerrit Dolle, ihren Traum zu erfüllen und eine Ausbildung als Pflegefachfrau zu beginnen.
Beim Projekt „Start Guide“ wurden seit dem 1. Januar 2021 am Standort im Braunschweiger Magniviertel fast 300 Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zum Thema „Berufliche Integration“ beraten. Doch eine Vermittlung mit so vielen Rückschlägen, die doch eine Erfolgsgeschichte wird, wie bei Hadja Bintou Konaté aus Guinea, gibt es wohl kaum noch ein zweites Mal. Im März 2023 kam sie erstmals zu „Start Guide“ Gerrit Dolle in die Beratung. Ihr Ziel war dabei ein Einstieg in die Pflege. „Das war auf den ersten Blick ungewöhnlich, da sie in ihrer Heimat im Bereich Büro und Verwaltung gearbeitet hatte“, erklärt Gerrit Dolle. „Doch das hat ihr nie richtig gefallen. Auf die Nachfrage, warum sie sich beruflich umorientieren wolle, berichtete mir Frau Konaté mit leuchtenden Augen, dass sie zu Hause im Bereich der privaten Pflege in der Familie tätig gewesen sei und sie dies immer sehr gern gemacht habe.“ Zudem sah sie für sich in der Pflege nicht nur die Chance auf einen schnellen Berufseinstieg als ungelernte Hilfskraft: Für sie war von Anfang an klar, dass sie eine Ausbildung machen wollte. „Ich möchte einen richtigen deutschen Abschluss“, betonte Hadja Bintou Konaté wiederholt. Gerrit Dolle sah für sie zu diesem Zeitpunkt wegen des hohen Personalbedarfs in der Pflege und ihrer offensichtlich hohen Motivation einerseits die Chance auf einen Einstieg; andererseits fehlte ihr relevante Berufserfahrung, war mit Anfang 40 nicht im typischen „Ausbildungsalter“ und ihre Sprachkenntnisse waren zu der Zeit so, dass eine Helfertätigkeit möglich, eine Ausbildung aber, gerade wegen der hohen Ansprüche im schulischen Teil, problematisch schien.
Deswegen kümmerte sich Gerrit Dolle zunächst einmal darum, dass Hadja Bintou Konaté einen Einblick in das deutsche Pflegesystem bekommen konnte, um auch die fachliche sowie sprachliche Eignung zu testen. Erster Schritt dafür sollte ein Praktikum sein – nach Abschluss des Sprachkurses. „Vor der konkreten Praktikumssuche mussten wir notwendige Bewerbungsunterlagen erstellen“, erinnert sich Start Guide Gerrit Dolle. „Dabei bestätigten sich Motivation und Zuverlässigkeit von Frau Konaté.“ So konnte ein Platz im AWO-Wohn- und Pflegeheim Heidberg gefunden werden. Nur vier Tage nach dem Vorstellungsgespräch startete die Guineanerin in ihr Praktikum und konnte so ihren Einstieg in den deutschen Pflegealltag feiern. Dort zeigte sie dann, dass sie „das Herz am rechten Fleck hat“ und mit ihrer ruhigen und freundlichen Art gut in der Pflege aufgehoben ist. Deswegen wurde ihr der erhoffte Ausbildungsplatz (für den praktischen Teil) und zur zeitlichen Überbrückung bis zum Start im Sommer 2024 zusätzlich ein sofortiger Einstieg in einen Job als Pflegehilfskraft angeboten.
„So positiv die Entwicklung bis dahin war, danach begann die ‚Problemphase‘“, weiß Gerrit Dolle. Zum einen ließ sich der angedachte Einstieg in eine Pflegehelfertätigkeit aus innerbetrieblichen Gründen doch nicht realisieren. Gleichzeitig kam Hadja Bintou Konaté mit der Suche nach einem B2-Sprachkurs, den sie gern vor dem Ausbildungsstart absolvieren wollte, nicht voran, da es keine passenden freien Plätze gab. Vor allem aber ergab sich das Problem, dass bei der angestrebten schulischen Ausbildung nicht nur einen Praxisplatz, sondern auch einen Schulplatz für den theoretischen Teil benötigt wird. „Und hier zeigte sich Ende 2023, dass es fast unmöglich schien, für den erhofften Ausbildungsstart 2024 noch einen Platz zu bekommen“, beschreibt Gerrit Dolle die Herausforderung, vor denen er und sein Schützling standen. „Da es ohne diesen nicht geht, schien sich der ganze Ausbildungsplan bereits erledigt und Frau Konaté parallel wegen der nicht realisierbaren Einstellung im Altenheim und dem Problem mit den Sprachkursen gleichzeitig auch keine ‚Übergangsbeschäftigung‘ und keinen Sprachkurs zu haben.“
Ende 2023 sollte dann aber ein Wendepunkt in der doch so vielversprechenden Geschichte sein. Erst konnte durch die Intervention der Pflegedienstleitung des AWO-Wohn und Pflegeheims Heidberg bei einer Braunschweiger Pflegeschule für Mitte Dezember 2023 noch ein Vorstellungsgespräch realisiert werden. Gleichzeitig ergab sich für Hadja Bintou Konaté die Möglichkeit für den B2-Sprachkurs ab Februar 2024. Zudem entwickelten Start Guide Gerrit Dolle und das Wohn- und Pflegeheim zusammen die Idee, die engagierte Frau aus Guinea in Form des Bundesfreiwilligendienstes zu beschäftigen, um ihr auf diese Weise Praxiserfahrung zu ermöglichen. Und plötzlich klappte alles: Das Gespräch in der Schule lief erfolgreich und der erhoffte Schulplatz wurde zugesagt. Gleichzeitig konnte Hadja Bintou Konaté vormittags den B2-Kurs und nachmittags den Bundesfreiwilligendienst antreten. Und diese Doppelbelastung schreckte sie nicht ab. Stattdessen betonte sie immer wieder, wie froh sie sei, viel zu tun zu haben und durch den Sprachkurs sowie den Dienst im Altenheim gleichzeitig sprachlich und fachlich dazulernen zu können.
„Doch es ergaben sich plötzlich unerwartete bürokratische Probleme hinsichtlich des schon sicher geglaubten Schulplatzes für die Ausbildung“, erzählt Gerrit Dolle. „Dabei ging es nicht um die umfangreiche Organisation benötigter Unterlagen, die uns einiges abverlangten. Das größere Problem war der Nachweis eines ausreichenden Schulbesuchs, da die Aufnahme in die hiesige Pflegeausbildung mindestens einen Hauptschulabschluss voraussetzt. Aufgrund ihrer Herkunft musste sich Frau Konaté um Unterlagen aus ihrer Heimat bemühen. Nach einiger Anstrengung konnte sie Nachweise beschaffen, leider waren diese aber eher von begrenztem Wert und konnten die zwölf Jahre Schulbesuch nur eingeschränkt bestätigen.“ So stand die erhoffte Ausbildung erneut auf der Kippe.
Am Ende konnte aber auch dieses Problem durch intensiven Austausch gelöst werden. Gespräche des Start Guides mit dem Leiter der Pflegeschule ergaben, dass letztlich die Schule selbst darüber entscheidet, ob jemand aufgenommen wird oder nicht. Daher wurde für Anfang Mai ein persönliches Gespräch zwischen Schulleiter, Hadja Bintou Konaté, Gerrit Dolle und der Pflegeeinrichtung vereinbart. Am Ende stand dann die endgültige Zusage für den Schulplatz. „Im Anschluss an dieses Gespräch fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen, da sie vorher große Angst hatte, dass es nach so viel Mühe eventuell doch nicht klappen könnte“, erinnert sich Gerrit Dolle zurück.
Im August 2024 – nachdem der Sprachkurs absolviert und der Bundesfreiwilligendienst beendet war – konnte Hadja Bintou Konaté dann endlich stolz und glücklich mit der Ausbildung starten. „Wie nicht anders zu erwarten, läuft diese bisher gut. Der erste mehrwöchige Theorieblock in der Schule sowie der erste Praxisblock im Wohn- und Pflegeheim sind inzwischen abgeschlossen und Frau Konaté ist seit Ende September wieder in der Schule“, so Gerrit Dolle. „Und auch wenn die Schule, gerade aufgrund der sprachlichen Anforderungen, eine Herausforderung ist: Sie will und wird sich durchbeißen.“
Auch die Mitarbeiter*innen im Heidberg sind mit ihrer Auszubildenden bisher sehr zufrieden. Das wurde Start Guide Gerrit Dolle Ende September bei einem Besuch der Einrichtung bestätigt. Hadja Bintou Konaté betonte dabei erneut, wie glücklich sie sei, und dass sie sich in der Einrichtung ein bisschen „wie zu Hause“ fühle und alle hier „wie Familie“ seien. Auch der neue Einrichtungsleiter, Tobias Steinmann, betonte seine Zufriedenheit und erzählte, wie gut sie sich bereits im Haus integriert hätte und sie bei den Bewohner*innen und den Kolleg*innen ankäme. Er habe noch nie in seiner beruflichen Laufbahn über jemanden nach so kurzer Zeit so viel positive Rückmeldungen bekommen. Auch die Kolleg*innen äußerten sich positiv – Tim Anlauff, ein junger Kollege, der die Ausbildung zum Pflegefachmann bereits erfolgreich absolviert hat, betonte den Mut von Hadja Bintou Konaté, trotz der sprachlichen Herausforderung die Ausbildung angetreten zu sein, und ergänzte, wie gut sie sich um die Bewohner*innen kümmere.
Für Gerrit Dolle war der „Fall Konaté“ einer der bisher aufwendigsten, am Ende aber auch erfolgreichsten und erfreulichsten. Denn trotz wiederholt aufgetretener Probleme gelang es am Ende in Zusammenarbeit mit vielen beteiligten Akteur*innen, den Ausbildungstraum von Hadja Bintou Konaté zu realisieren und so am Ende viele Beteiligte glücklich zu machen. Denn diese Vermittlung ist ein Erfolg für das ganze Land, dem nun eine der mehr als dringend benötigten Pflegekräfte zur Verfügung steht. Eine Geschichte, die zeigt, wie notwendig die Arbeit von Start Guide ist – das mit seinen über 20 Standorten in Niedersachsen momentan von der Landesregierung gefördert wird. Alle sind sich einig, dass diese Förderung auch über das Jahr 2025 hinweg abgesichert werden sollte.