AWO Niedersachsen fordert bedingungslose Verlängerung des Rettungsschirms

Hannover/Braunschweig. In einem Brief an die niedersächsischen Abgeordneten des Bundestages fordert die AWO Niedersachsen, Landesarbeitsgemeinschaft, der auch der AWO-Bezirksverband Braunschweig angehört, die bedingungslose Verlängerung des Rettungsschirms sowie Wertschätzung und Perspektiven für Pflegekräfte, wie Tarifsteigerungen und Erholungsprogramme:

 

"Seit mehr als einem Jahr ist die Corona-Pandemie allgegenwärtig. Alle Bürgerinnen und Bürger sind vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Aber fast keine Bevölkerungsgruppe ist momentan stärker belastet als die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen sowie die Pflegekräfte.


Schon vor der Corona-Krise bestand in der Pflege ein eklatanter Personalmangel. Allein für die stationäre Pflege wurde im Rahmen des regierungsseitig beauftragten Rothgang-Gutachtens ein Personalmangel von rund 20 Prozent festgestellt.


Zum Schutz vor Corona mussten umfangreiche Hygiene- und Testkonzepte in kürzester Zeit umgesetzt werden. Durch stetige Neuerungen in den Verordnungen sind zudem kontinuierliche Anpassungen der Schutzkonzepte erforderlich.


Bei Ausbrüchen muss trotz hoher Infektionszahlen, auch unter dem Personal, die Versorgung aufrechterhalten werden. Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Einrichtungen waren und sind teilweise immer noch in Isolationssituationen, die von der Pflege aufgefangen werden müssen.

Um den Hygienekonzepten gerecht zu werden, müssen viele Tagespflegen ihre Gästezahl drastisch reduzieren, obwohl der Betrieb dadurch unwirtschaftlich wird. Auch viele stationäre Einrichtungen arbeiten momentan defizitär. So sind zum Teil viele der Betreuten durch Corona verstorben. Eine Nachbelegung ist in Ausbruchssituationen unmöglich und in der Zeit danach mit dem hohen Risiko vom Eintrag neuer Infektionen verbunden.


Und dennoch haben wir diese Herausforderungen gemeistert und sind weiterhin da, um die Versorgung der Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, sicherzustellen.

Dies ist aber nur möglich, weil wir über den Rettungsschirm nach §150 SGB XI bis jetzt unbürokratische Hilfe bekommen haben. Wir begrüßen daher außerordentlich, dass der Rettungsschirm erneut verlängert werden soll. Es ist jedoch dringend erforderlich, dass dieser vorerst in der bisherigen Form bestehen bleibt.


Die Unterstützung darf nicht an Bedingungen gekoppelt werden wie dies in dem Entwurf einer Formulierungshilfe für die Fraktionen der CDU/CSU und SPD für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (EpiLage-Fortgeltungsgesetz) vorgesehen ist.


Entsprechend dem Entwurf erhalten Pflegeeinrichtungen und anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag nur noch eine Erstattung von Mindereinnahmen, wenn diese unmittelbar infolge der Umsetzung behördlicher Auflagen sowie von landesrechtlichen Regelungen zur Eindämmung der Coronavirus SARS-CoV-2-Pandemie entstehen. Zudem ist diese Voraussetzung von der Pflegekasse vor der Auszahlung zu überprüfen.


Wir bitten Sie, sich für eine Rücknahme dieses Vorschlages einzusetzen und die bisherige Regelung für die Erstattung von Mindereinnahmen fortzuführen.


Denn in der Praxis führen nicht nur Landesverordnungen oder behördliche Auflagen zu Mindereinnahmen. So müssen viele Tagespflegen zur Einhaltung von Mindestabständen mit Minderbelegung und damit Mindereinnahmen betrieben werden. In der niedersächsischen Corona-VO sind zwar Hygienekonzepte vorgeschrieben, jedoch keine Minderbelegung. Bei Umsetzung des Gesetzes-Entwurfes wären somit keine Mindereinnahmen erstattbar.


Auch können Einrichtungen, in denen coronabedingt viele Betreute verstorben sind bzw. auf Grund von Ausbrüchen keine Neubelegung möglich war, ihre Belegung nur schrittweise wieder erhöhen. Wie aktuell ersichtlich wird, sind auch die Impfungen kein 100-prozentiger Schutz gegen neue Ausbrüche in den Einrichtungen. Zudem sind aktuell immer noch nicht alle Einrichtungen geimpft. Insofern besteht auch weiterhin noch ein erhebliches Risiko der Ansteckungen in den Einrichtungen. Von daher müssen Nachbelegungen sehr vorsichtig erfolgen und die Hygienekonzepte weiter eingehalten werden. Nicht sofort nach einem Ausbruch ist eine Einrichtung wieder voll belegt.


Hier müssen zumindest Übergangsfristen eingeräumt werden, in denen die Mindereinnahmen ohne zusätzliche Auflagen geltend gemacht werden können. Auch die Prüfung der Zahlungsvoraussetzung durch die Pflegekassen ist praktisch schwierig umzusetzen. So erfolgen z.B. Quarantäneanordnungen etc. aufgrund der knappen Personalsituation des ÖGD oftmals nur mündlich bzw. telefonisch. Das erschwert den Nachweis zusätzlich.


Zudem würde hier zusätzliche Bürokratie aufgebaut, die zu einer weiteren Belastung der ohnehin stark betroffenen Pflegeeinrichtungen führen würde.

Mit Blick auf die angespannte Situation aller an der Pflege Beteiligten darf der Gesetzesentwurf daher in der aktuellen Form nicht verabschiedet werden.


Wir haben noch ein weiteres Anliegen. Wer in diesen Tagen durch Pflegeeinrichtungen geht, kann sich ein Bild von der Erschöpfung und Entkräftung des Personals machen. Wir müssen leider davon ausgehen, dass viele Kolleginnen und Kollegen, die jetzt aus Pflichtbewusstsein durchhalten, nach der Krise eine längere Auszeit benötigen oder den Beruf ganz aufgeben werden.


Wir brauchen hier dringend Signale, die Wertschätzung und Perspektiven eröffnen. Dazu zählen faire Vergütungsverhandlungen, in denen Tarifsteigerungen bzw. -verhandlungen uneingeschränkt anerkannt werden. Insbesondere im ambulanten Bereich. Dazu gehören auch schon jetzt spezielle

Erholungsprogramme für Pflegekräfte und pflegende Angehörige. Das heißt ein Ausbau von Reha- und Kurmaßnahmen in diesem Bereich. Aber auch die Möglichkeit für Einrichtungen ihren Beschäftigten diese Erholung zu ermöglichen. Dazu braucht es Finanzierungsregelungen, die entsprechende personalbedingte verringerte Belegungszahlen in den Einrichtungen kompensieren.


Wir sind auch weiterhin davon überzeugt, dass diese Krise nur durch konstruktive Zusammenarbeit bewältigt werden kann und hoffen daher auf Ihre Unterstützung."